Jurybegründung

Jury-Begründung zum Hauptpreis an Eva Profousová für ihre Übertragung von Jáchym Topols Roman Ein empfindsamer Mensch (Suhrkamp, 2019) aus dem Tschechischen mit besonderer Würdigung ihres übersetzerischen Gesamtwerks
 

Eva Profousová hat mit Jáchym Topols Ein empfindsamer Mensch ein Husarinnenstück von einer Übersetzung vorgelegt. Furchtlos folgt sie dem Autor und seinem Heldenkollektiv, einer tschechischen Schaustellerfamilie auf Europatour, durch wilden Slapstick, krachlederne Derbheit, irrwitzige Fügungen, Registersprünge und Tonartwechsel. Sie folgt, scheint aber voranzugehen, denn sie beschreitet eigene, ganz und gar unabhängige sprachliche Wege und schafft so ein Idiom, das Topols fantastischer, wüst-fantasievoller Umgangssprache ebenbürtig ist. Genau darin liegt die Kunst der Entsprechung. Die empfindsame Navigation der Übersetzerin lässt kein Detail außer Acht und wird der Spannung der Vorlage durchweg gerecht. Es gibt kaum einen Satz, der nicht eine besondere übersetzerische Schwierigkeit zu überwinden hätte, und doch sprüht die Freude am Spiel dem Text aus allen Poren. Profousovás plurilinguales Sprachkunstwerk bewegt sich gewandt zwischen erlebter und Erzählerrede, es ergründet die Jargons der aufmüpfigen Figuren und tänzelt ohne Netz über unerforschte Gebiete des Wortwitzes. Eva Profousová, die auch für ihr Lebenswerk als Übersetzerin von Autor:innen wie Jaroslav Rudiš, Michal Viewegh und Radka Denemarková ausgezeichnet wird, beschreibt ihren Weg ins Deutsche als Übersetzungssprache als Aneignung einer neuen Heimat, und zugleich als eine Art Bildungsprojekt: Indem sie »dem deutschen Text die Atmung des Originals« beibringt, versucht sie zugleich »zu einer sprachlich-gesellschaftlichen Polyphonie beizutragen« (Eva Profousová).
Was das heißt, ist hier auf jeder Seite nachzulesen.
 

 

Jury-Begründung zum Förderpreis an Lisa Mensing für ihre Übertragung von Caro Van Thuynes Roman Birkenschwester (Maro, 2024) aus dem Niederländischen


Wie übersetzt man eine Kommunikation, die jenseits des Sagbaren liegt? Lisa Mensings Birkenschwester lässt sich ein auf die Versprachlichung einer wortlosen und innigen Nähe. Da ist ein Mädchen, das nur über Berührungen hören, sehen und sprechen kann, und dennoch verständigt es sich mit der Schwester: in einer Sprache der Lautlosigkeit. Und da ist die Trauer um den Verlust eines Kinds, der mit Worten nicht beizukommen ist. Die Semantik des Textes ist also nicht nur mit dem »Sinn« verknüpft, sondern buchstäblich mit den Sinnen – und Lisa Mensing findet für Caro van Thuynes ausgefallene Bilder des Erfühlens, die ihrerseits Übersetzungsleistungen sind, genaue und feinsinnige Entsprechungen im Deutschen. Dabei balanciert die Nachschöpferin über ein erzählerisches Seil, das mehr durch atmosphärische Zustände als durch konkrete Handlungsabläufe gespannt ist. Ihr fester, sicherer Ton schafft den Raum, in dem die Doppelbödigkeit und Fragilität des Texts sich entfalten können. Dies gelingt nicht zuletzt dank ihres fabelhaften Gespürs für die Syntax: Die Sätze ruhen in sich und spinnen die Erzählung trotzdem fort. Lisa Mensing zeigt sich hier nicht nur als ernsthafte Übersetzerin, sondern als Gleichgewichtskünstlerin. Ihre Übertragung von Caro Van Thuynes Roman Birkenschwester hat uns als außerordentlich kunstvoller Balanceakt überzeugt und begeistert.