
Laudatio Dr. Belén Santana López
Lieber Adan Kovacsics,
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich kenne Adan Kovacsics seit 2010. Der Präzision wegen ― bzw. in des Preisträgers eigenen Worten: im Zuge dieser „teuflischen Neigung zur doppelten und dreifachen Nuancierung“, die Übersetzer:innen so eigen ist ―, müsste ich jedoch eigentlich sagen, dass ich ihn persönlich seit 2010 kenne. Denn als Übersetzer kenne ich ihn schon länger. Aber erlauben Sie mir bitte eine weitere Präzisierung: die Berufsbezeichnung „Übersetzer“ wird Adan Kovacsics bei weitem nicht gerecht. Ich würde ihn als Gesamtübersetzer bezeichnen, jemanden, der alle Facetten dieser Kunst und dieses Handwerks verkörpert und gleichzeitig praktiziert. So gibt es selbstverständlich den Übersetzer Adan Kovacsics im engeren Sinne, aber gleichzeitig auch den Essayisten, den Dozenten, den Dichter und, vor allem, den Menschen. Auf diese fünf Facetten werde ich im Folgenden kurz eingehen, doch weder aus einer streng akademischen, noch aus einer rein beruflichen Perspektive, zumal die zahlreichen und vielfältigen Verdienste unseres Preisträgers bereits aufgezählt worden sind und heute, in unserem digitalen Zeitalter, jederzeit schnell nachgeschlagen werden können. Ganz im Gegenteil! Meine Worte entstehen aus einer Form der Bewunderung heraus, die ich im doppelten Sinne als „analog“ bezeichnen möchte: zum einen, weil dieses Gefühl nahezu greifbar ist, und zum anderen, weil mein Übersetzer-Ich schon früh, und heute immer noch, ein Adan Kovacsics werden wollte.
Irgendwann im Jahr 2003 stieß ich auf ein Exemplar von Stefan Zweigs Nachlasswerk Rausch der Verwandlung, ins Spanische übersetzt von Adan Kovacsics, in einer Ausgabe des Acantilado Verlags. Obschon ich damals bereits erste Erfahrungen als Literaturübersetzerin gesammelt hatte ― oder vielleicht gerade deswegen ―, kann ich mich heute noch an die Freude erinnern, die mir die ersten Seiten bereiteten. Zugegeben, es ist vielleicht nicht der beste und auch nicht der bekannteste Roman Zweigs, aber beim Lesen der wunderbar detaillierten Beschreibung eines Dorfpostamtes in Österreich, sowie der Postassistentin, die dort arbeitet und eines Tages durch ein völlig unerwartetes und schicksalhaftes Telegramm aus der Monotonie ihres Daseins gerissen wird, habe ich mich gefragt: „Wie hat er das bloß hingekriegt?“. Mit „er“ war natürlich Adan Kovacsics gemeint, die spanische Stimme Zweigs in diesem Roman. Damals wurde mir die Bedeutung sowohl des treffenden Wortes ― wobei „treffend“, wohlgemerkt, nicht immer gleichzusetzen ist mit „exakt“ ―, als auch des passenden Tons bewusst, dieses harmonische Zusammenspiel, das Zweig erreicht hätte, wenn er den Text auf Spanisch geschrieben hätte. Und nicht nur die Bedeutung dieses Zusammenspiels wurde mir klar, sondern auch die Tatsache, dass es möglich ist, das treffende Wort und den passenden Ton zu finden. Kurzum: die Möglichkeit des Übersetzens. Damals hätte ich nie gedacht, dass ich einige Jahre später den Übersetzer, der ich einmal werden wollte, persönlich kennenlernen würde. Dies geschah 2010 im Vorstand von ACE Traductores, dem spanischen Literaturübersetzerverband. In unserer Funktion als Vorstandsmitglieder hatte ich die Gelegenheit, in einer besonders aktiven und fruchtbaren Arbeitsphase des Verbands den Übersetzerkollegen Adan ― diesmal schon ohne die Distanz des Nachnamens ― näher kennenzulernen. In diesem Rahmen wurden wir als assoziatives Tanzpaar dorthin geschickt (zumindest im übertragenen Sinne), wo Adan sich am wohlsten fühlt, nämlich im Herzen Europas, denn wir durften den Verband im CEATL vertreten, dem europäischen Dachverband der Literaturübersetzer. Ich erinnere mich heute noch an Adans Expertise, aber vor allem auch an die Gelassenheit, mit der er sich an die Übersetzung einer der ersten Umfragen zu den Arbeitsbedingungen europäischer Literaturübersetzer heranwagte. Das Übersetzen an sich war sicherlich das kleinste Übel, schwieriger war die Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen der anderen Verbände, die, genauso wie Adan, eigene Übersetzungsstunden für einen guten Zweck ehrenamtlich aufopferten. Dies geschah 2012, und obwohl wir beide kurze Zeit später aus dem Vorstand austraten, hat es das Schicksal gewollt, dass wir uns seitdem ca. alle zwei Jahre getroffen haben, immer an einer geraden Jahreszahl.
So kam es, dass ich 2014 dem Essayisten Adan Kovacsics im akademischen Rahmen begegnete. Das war auf einer internationalen Fachtagung zum Thema „Krieg und Rezeption“ an der Universität Alcalá de Henares. Dort hielt Adan Kovacsics einen wunderbaren Plenarvortrag beruhend auf Krieg und Sprache, sein eigenes Sachbuch über die Rolle der Medien und insbesondere der Presse in den Kriegen des 20. Jh.s, das heute leider nichts an Aktualität eingebüßt hat und praktisch zu einem Nachschlagewerk geworden ist, nicht nur für Übersetzer:innen. Unter die essayistische Sparte fällt ebenfalls eine Publikation, auf die ich immer wieder zurückkomme ― die Reihe von Kurzartikeln, die Adan Kovacsics in El Trujamán (der Übersetzungszeitschrift des Instituto Cervantes) veröffentlicht hat. In knapp sechshundert Wörtern pro Beitrag ist Adan Kovacsics in der Lage, wichtigste Grundsätze des Übersetzens und des Übersetzers theoretisch fundiert und poetisch vollkommen zu erläutern. Ich werde nur zwei davon zitieren: eine Übersetzung ist (ich zitiere) „ein lebendiger Text, in dem auch die Hand des Übersetzers zum Ausdruck kommt, sowie vor allem die Hand der Zielsprache, mit ihrer Haut, ihren Gelenken, ihren Muskeln, ihren Schatten“ (Zitat Ende); und die Idee des Übersetzers als jemand, der permanent dagegen kämpft, dass eine Sprache aus seiner Seele verschwindet. Diese Anklänge an Goethe, Novalis, Kraus, Benjamin oder Kertész stehen exemplarisch für die Transzendenz, die Adan Kovacsics nicht nur der Übersetzung, sondern auch dem Akt des Übersetzens und der Reflexion darüber beimisst.
Es ist also naheliegend, dass diese Überlegungen in die Lehre einfließen. Adan Kovacsics ist im Laufe der Jahre immer wieder als Dozent aktiv gewesen in den zwei Sprachen, aus denen er hauptsächlich übersetzt. In dieser Rolle habe ich ihn 2016 beobachtet, das war in einem kastilisch-leonesischen Ort, dessen Namen ich nicht vergessen kann: Castrillo de los Polvazares. Dort fanden einige Veranstaltungen der 6. Sommerschule für Übersetzung in Astorga statt, zu der wir beide als Dozenten eingeladen waren, gefolgt von wunderschönen sobremesas (entschuldigen Sie, aber das Fremdwort muss sein). Was die deutsche Sprache anbelangt, war Adan Kovacsics u.a. jahrelang Dozent des Masters für Literarisches und Audiovisuelles Übersetzen an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona, einem hoch renommierten Studiengang. Im Falle des Ungarischen hat er in den letzten Jahren die Kollegin Judit Xantus bei der Ausbildung neuer Übersetzer:innen im Übersetzerhaus in Balatonfüred zunächst unterstützt und dann leider gezwungenermaßen abgelöst, allen Widrigkeiten und Viren zum Trotz, in seiner Rolle als Botschafter einer bis dahin weitgehend unbekannten Literatur. Daraus schließt sich, dass Adan Kovacsics sich nicht ins eigene Übersetzergehäuse verkriecht, sondern an die Möglichkeit glaubt, die wenigen Gewissheiten und die vielen Ungewissheiten, die den übersetzerischen Impuls begleiten, an Dritte weiterzugeben.
An dieser Stelle wird es niemanden wundern, dass Adan Kovacsics zu denjenigen Autoren gehört, die das Übersetzen als eine eigene literarische Gattung definieren. Das hat bei ihm ― wieder auf natürlichstem Wege ― zu einem eigenen belletristischen Werk geführt, und damit wären wir beim Dichter, der bisher zwei Erzählbände veröffentlicht hat, beide im Subsuelo Verlag: El vuelo de Europa (in etwa „Europas Flug“) und Las leyes de la extranjería (in etwa „Die Gesetze der Fremdheit“). Ausgehend von der eigenen Vorstellungskraft und von der eigenen Traumwelt, denkt Adan Kovacsics dort über zwei Themen nach, die ihn durchgehend beschäftigen: zum einen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft dessen, was wir Europa nennen, und zum anderen den Begriff des Fremdseins als Wesenseigenschaft des Menschen. Nun, der vorhin erwähnten Logik der geraden Zahlen folgend, hatte ich 2018 die Gelegenheit, den Schriftsteller Adan Kovacsics zu entdecken, als die Universität Salamanca die Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung beherbergen und mitorganisieren durfte, zu der Adan Kovacsics als einer der wichtigsten Übersetzer eingeladen war. Das war das letzte Mal, dass wir uns persönlich sahen, denn 2020 kam die Pandemie und damit eine gezwungene Unterbrechung dieser immer ungeplanten, aber vielleicht deswegen um so erfreulicheren Augenblicke des analogen Zusammenkommens. Aber das Schicksal hat immer eine Überraschung parat. Also sehe ich heute dieses Treffen in Salamanca als Vorankündigung der wunderbaren Nachricht, die 2021 kam und uns allen, die wir aus dem Deutschen ins Spanische übersetzen, glücklich gemacht hat: Adan Kovacsics‘ Beitritt in der besagten Akademie, die dadurch seine Arbeit als Literaturübersetzer und ― in seinen eigenen Worten ― als ein „Mitteleuropäer, der auf Spanisch schreibt“ gewürdigt hat. Diese Anerkennung ist nur eine von vielen Auszeichnungen, die er im Laufe der Jahre erhalten hat, wie der Preis der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (2000), der Österreichische Staatspreis (2010) und der Spanische Nationalpreis (2010) für literarisches Übersetzen.
Als ich Adan schriftlich zu seinem Beitritt in der Akademie gratulierte, hätte keiner von uns geahnt, dass sich ca. ein Jahr später die Gelegenheit ergeben würde, unsere Begegnungen im Zwei-Jahres-Rhythmus wieder aufzunehmen, und zwar hier, im Europäischen Übersetzer-Kollegium Straelen, zum Anlass dieser ehrenvollen Auszeichnung der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen.
Und nun, in diesem geraden Jahr 2022, möchte ich abschließend Adan Kovacsics als Mensch ehren, als jemanden, der einen Übersetzer, einen Essayisten, einen Dozenten und einen Dichter in sich trägt. Jemand, der in vier Sprachen träumt; der das Übersetzen als Lebensform und das Leben als gerade Zahl, also als Paar, versteht ― einmal das Sprachenpaar, das er jeweils übersetzt, und einmal das Lebenspaar, das er mit Cristina bildet und das keiner Übersetzung bedarf. Sie teilt die Großzügigkeit und die Bescheidenheit eines Menschen, der sich als „Knecht der Zeit“ definiert. Die Vergänglichkeit des eigenen Werks ist ihm wohl bewusst, aber seit kurzem vielleicht nicht in demselben Maße dank Blai, dessen Großvater ihm bald Märchen in den vier Sprachen seiner Übersetzerheimat erzählen wird.
Im Namen meiner Jurykolleg:innen Olga García und Paul Ingendaay, denen ich für die angenehme Juryarbeit zu danken habe, gratuliere ich unserem Preisträger ganz herzlich. Ein großer Dank geht auch an die Kunststiftung NRW und das Europäische Übersetzer-Kollegium für die Unabhängigkeit, mit der diese Jury arbeiten durfte.
Lieber Adan, ich persönlich möchte dir mit der gleichen Freude gratulieren, mit der die Postassistentin Christine Hoflehner in Zweigs Roman das Telegramm empfängt, das ihr Leben verändert, mit der gleichen Freude, die mich zur Übersetzung führte. Wir sehen uns wohl in 2024, und bis dahin, wie sonst immer, in den Büchern.
Vielen Dank.