Danksagung Eva Profousová
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen,
als ich das erste Mal die Worte „für das Gesamtwerk“ las, dachte ich verwundert: Ich bin doch erst neulich 60 geworden und fange allmählich an, zu verstehen, worauf es im Leben und beim Übersetzen ankommt! So groß ist der Widerspruch aber nicht: Mein Gesamtwerk - im Vergleich zu vielen meiner produktiveren Kolleg:innen nur an die schlappe 30 Titel - , ist in der Tat ein Lebenswerk, eine Dokumentation des jugendlich verwegenen Versuchs, mir mit Zwanzig die deutsche Sprache zwar nicht untertan (ein solches Verhältnis möchte ich weder zu Menschen noch zu Tieren oder Sprachen eingehen), aber doch wohlgesinnt zu machen, eines Versuchs, mir eine andere Kultur und einen anderen Zungenschlag einzuverleiben und die durch meinen „Zaunsprung“ gewonnene Freiheit zu verwerten, wie es an einer Stelle im Ein empfindsamer Mensch heißt.
Ein empfindsamer Mensch: Jáchym Topol zu übersetzen ist mir eine Freude und womöglich auch Lebensaufgabe. Kennengelernt haben wir uns kurz nach der Wende, beide fast gleich alt, er damals ein langhaariger, leicht alkoholisierter einstiger Dissident, ich eine kesse Emigrantin und Besser-Wessi. Es war keine Freundschaft auf den ersten Blick. Aber seine Sprache faszinierte mich: einerseits stark mündlich und umgangssprachlich, entsprechend der Underground-Maxime, es müsse so geschrieben werden, wie auf der Straße gesprochen wird, andererseits mit einem unglaublichen lexikalischen Reichtum ausgestattet, dessen Sound mir seltsam vertraut vorkam. Erst später stellte ich fest, dass sein Großvater mütterlicherseits der Schriftsteller Karel Schulz war, dessen unvollendeter Roman über Michelangelo, den ich als Teenie gelesen hatte, mich zu meinen ersten Schreibversuchen brachte. Das Echo des barock-üppigen Großvaters ist übrigens bis heute in Topols Texten zu merken, verschmolzen mit dem heutigen Jargon zu einer Art künstlicher Mündlichkeit. Es freut mich also doppelt und dreifach, dass sich der mir heute verliehene Preis ausgerechnet auf eine Übersetzung von Jáchym Topol bezieht.
Dass meine übersetzerische Karriere einen solchen Höhepunkt finden sollte, war allerdings lange nicht abzusehen. Als ich mit Mitte Vierzig als Literaturübersetzerin bei Sozialhilfe landete, verbannte ich meinen Schreibtisch und das Übersetzen aus der Wohnung, um nur ein paar Jahre später noch entschlossener ins Feld zu ziehen. Als Nicht-Deutsch-Muttersprachlerin führt man mehrere Kämpfe, es geht nicht nur um das Können, sondern auch um die Frage: Wem gehört die Sprache? Wer darf sie berühren, wer darf an sie heran, sprich: wer darf mitspielen? Wie oft musste ich mir anhören: Du willst für die Zeitung schreiben? Ins Deutsche übersetzen? Geht nicht, du bist keine Deutsche! Doch, es ging. Aber es war eine große Portion Sturheit nötig und sehr viel Glück.
Die Angst vor fremdem Akzent ist bis heute da. In Tschechien vielleicht noch mehr als in Deutschland: Unlängst fragte mich eine ältere Dame: Wie können Sie unsere schöne Sprache ins Deutsche übertragen? In meiner Generation – nicht nur bei denen, die wie ich in die Emigration gegangen waren - fuhr man, was die Sprache betraf, eher eingleisig. Die Sprache spiegelte das Land wider, in dem man lebte (oder für das man zu sprechen meinte). Inzwischen erlebe ich junge Menschen, vorwiegend Frauen, die als literarische Übersetzerinnen in beide Richtungen arbeiten. Je offener die Grenzen sind, je häufiger die Auslandsaufenthalte, desto facettenreicher fällt auch die Bilingualität aus, sie ist nicht nur auf die Küche oder Schule beschränkt. Die Sprache ist wie ein Muskel: Er muss beidseitig trainiert werden. Eine fließende Zweisprachigkeit scheint mir auch gut zu den heutigen fluiden, mehr mit Orten als mit Sprachen verknüpften Identitäten zu passen.
Meinem aktiven Tschechisch sind die über vierzig Jahre in der Fremde nicht gut bekommen, es kriecht etwas verunsichert aus dem Mund. Das passive ist aber wie ein Gebirgssee, bei gutem Wetter erkennt man die auf dem Grund liegenden Handschmeichler der Wörter auch ohne Brille. Nur wenn der Text durch seine Ungenauigkeit das Wasser trübt, taste ich mühsam herum und muss doch im Wörterbuch nachschauen.
Viel spannender ist aber die Frage nach meinem Deutsch. Da höre ich gleich eine mechanisch betriebene Suchmaschine klappern. Etwas geräumiger und umfangreicher als ein Buchdrucker-Setzkasten, es befinden sich auch keine Buchstaben darin, sondern Wörter und Redewendungen. Es ist ein riesiges Ding, bedient von einem achtarmigen Kraken hinter meiner Stirn. Die Tentakel wühlen lustvoll in Setzkästchen herum, wenden das Wortmaterial aus Wörterbüchern, Chatforen, gelesenen Texten, aufgeschnappten Gesprächsfetzen und sonstigen Fundstellen meines Alltags hin und her - und lassen das, was sie für relevant halten, nach einem mittels Grammatik und Syntax gesteuerten Auswahlprozedere aufs imaginäre Förderband plumpsen. In kleine klöterige Metallwägelchen abgefüllt, werden die Wörter später zum Steck-schrift-kasten des Bildschirms transportiert, dort beäugt und nach Bedarf wieder aussortiert. Diese meine Suchmaschine erinnert mich an einen Merkur Baukasten, sie ruckelt, rumpelt und rattert metallisch vor sich hin. Noch glänzt sie aber ölig und läuft geschmeidig, auch wenn sie manchmal stockt, nicht sofort das Benötigte hergibt oder die Wörter falschherum reinsteckt - wie Knapp auf Spitz oder Greitenbrad. Aber noch haben wir’s gut miteinander, noch komme ich dem Kraken auf die Schliche.
In einer neurowissenschaftlichen Studie habe ich gelesen, dass beim Erlernen einer Fremdsprache nicht das limbische, vorwiegend für die Muttersprache zuständige System, sondern der Neocortex aktiviert werde. Dieser Teil des Gehirns wäge stark ab, arbeite bewusst, analytisch und logisch; die dort getroffenen Entscheidungen brauchen allerdings viel Zeit. Das kann ich nur bestätigen.
Die Verbindung zwischen der kopfgesteuerten Zielsprache meiner Übersetzungen und dem sprachlich eher irgendwo im Bauch angesiedelten Original verläuft über das Herz, den Sitz der Gefühle. Diese spielen im Übertragungsprozess eine wichtige Rolle: Ohne Emotionen kann ich nicht übersetzen, sie sind richtungsweisend. Eine Gebrauchsanweisung in meiner Übersetzung wäre unbrauchbar, weil ich sie nicht er-fühlen kann. Am Anfang einer Übersetzung steht für mich ein Bild: Bei dem heute ausgezeichneten Buch war es das Bild eines galoppierenden Pferdes, das ich entlang der feinen Rasterlinien des Originals auszumalen versuchte. Solche für den Leser unsichtbare Linien liegen bei näherer Betrachtung jeder Übersetzung inne, nicht unähnlich den Rasterbildern von Sigmar Polke oder des frühen Gerhard Richter, sie bilden den Hintergrund, in den sich die Übersetzung hineinfügen muss, was häufig mit komplett anderen Farben - sprich Sprachmitteln - geschieht als im Original. Beim Übersetzen in die Muttersprache wird das nicht viel anders sein.
Bis ich im Deutschen ein Zuhause fand, sind schon ein paar Jahrzehnte ins Land gegangen: Umso umfangreicher fällt mein Dank an alle meine Wegbegleiter und Wegbegleiterinnen aus. Der Reihe nach geht das erste Dankeschön an meine erste WG in Hamburg-Wilhelmsburg, an den damals angehenden Lehrer Thomas Schmied, der meiner ersten Seminararbeit den deutschen Schliff verlieh, und an die genauso wie ich Slawistik studierende Mitbewohnerin Beate Smandek, mit der ich später die ersten Bücher von Jáchym Topol übersetzte.
Danke an die vor zwei Jahren verstorbene Freundin und Literaturwissenschaftlerin Christine Gölz für die vielen lustvollen Lektorate,
ein Dankeschön an meine immer wieder mitlesenden und diskussionsfreudigen Freundinnen,
vielen Dank an alle Text- und Verlagsingenieurinnen (ja, das Gros ist weiblich!), die meinem Rumpelkasten zum geschmeidigen Gang verhelfen, hier und da an den Schrauben ziehen oder krumme Verbindungen gerade biegen, manchmal mit hochgezogenen Augenbrauen ein paar morsche Schwellen herausreißen oder gar eine schmucke Weiche einbauen.
Vielen Dank an den DÜF, der das Schmieröl der für unser finanzielles Überleben so wichtigen Stipendien liefert,
vielen Dank an meine Autoren und Autorinnen für ihre Texte (ohne ein gutes Buch kann es keine gute Übersetzung geben) – und abschließend nochmals
vielen Dank an die Jury,
vielen Dank für die so wertschätzende Laudatio,
vielen Dank an die Kunststiftung NRW und das Übersetzerkollegium Straelen für diese unschlagbare Auszeichnung.
Ich fühle mich angekommen.