Danksagung Lisa Mensing
Ich würde hier heute nicht stehen, wenn ich meinen Beruf nicht lieben würde. Literaturübersetzen hat unglaublich viel mit Leidenschaft zu tun, mit Durchhaltevermögen und mit der Liebe für die Literatur. Das wissen Sie hoffentlich schon, aber ich möchte das gerne noch einmal veranschaulichen, indem ich Sie auf eine kleine Zeitreise mitnehme.
2020: Ich sitze zusammen mit Eva Profousová, Bettina Bach und Lut Missinne in einer Kneipe. Die beiden Übersetzerinnen haben am Institut für Niederländische Philologie gerade ihre neuen Übersetzungen vorgestellt und von ihrem Beruf erzählt. Eva hat „Ein empfindsamer Mensch“ von Jachym Topol präsentiert. In der Kneipe traue ich mich, ihr zu verraten, dass ich gerade meine erste Rezension für TraLaLit, das online Magazin für übersetzte Literatur, schreibe – und zwar über „Ein empfindsamer Mensch“. Die Rezension – die übrigens immer noch online zu finden ist – trägt den Namen: „Eine empfindsame Übersetzerin“.
Frühjahr 2021: Ich lese ein Buch. Ich lese es, und jeder Satz erstaunt mich, ja, lässt mich innerlich ganz unruhig werden, denn was die flämische Autorin da macht, ist eigenwillig, mutig aber vor allem eins: Faszinierend. Ich drehe mich zu meinem Partner um, und sage: Das MUSS ich übersetzen.
Es handelt sich um Lijn van wee en wens von Caro van Thuyne. Birkenschwester.
Ich spreche mit der flämischen Literaturstiftung über den Roman und sie erklären sich dazu bereit, eine Probeübersetzung zu finanzieren. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Flanders Literature und vor allem bei Marieke Roels bedanken, die mich von Anfang an unterstützt und gefördert hat.
Ich mache mich also an die Arbeit und begebe mich anschließend auf die Suche nach einem Verlag.
Herbst 2021: Ich sitze mit meiner TraLaLit-Kollegin Julia Rosche bei einer Veranstaltung der Translationale Berlin, einem Übersetzungsfestival, das in jenem Jahr seine Premiere feiert. Auf der Bühne wird gerade gesagt, es bringe sowieso nichts, Verlagen Bücher vorzuschlagen, daraus würde ja eh nichts – hinter mir beugt sich jemand zu mir vor, flüstert in mein Ohr: Das stimmt überhaupt nicht!
Ahnen Sie schon, wer das gewesen sein könnte? Tja, das war Eva Profousová, die mir Mut machte, weil sie vermutlich kurz befürchtete, dass mein Optimismus ausgebremst werden könnte. Und wer weiß, ob ich hier heute stehen würde, wenn Eva mir nicht ins Ohr geflüstert hätte.
Von 2021 bis 2023 kontaktiere ich 19 Verlage und stelle Caro van Thuynes Debütroman vor. In den meisten Fällen erhalte ich keine Antwort, einige Verlage zeigen Interesse, haben aber keinen freien Programmplatz mehr oder springen aus anderen Gründen wieder ab. Aber ich glaube an dieses Buch, ich glaube an seine Sprache, und vor allem treibt mich der Wunsch an, Lijn van wee en wens ins Deutsche zu übersetzen.
Apropos Wunsch: Sommersemester 2022: Ich sitze mit meiner Professorin Lut Missinne und ihrem Groninger Kollegen Mathijs Sanders in einer Gaststätte, Mathijs erzählt mir, dass er gerade meine Übersetzung von Gerda Blees gelesen hat und fragt, was für Träume ich habe: Was möchtest du noch übersetzen, Lisa? Und ich muss nicht lange nachdenken: Caro van Thuyne – Lijn van wee en wens, sage ich.
15. März 2023: Aus einem Impuls heraus schreibe ich dem zwanzigsten Verlag eine E-Mail, stelle den Roman von Caro van Thuyne vor, schicke meine Übersetzungsprobe und weitere Informationen mit. Es ist der Maro Verlag. Sie ahnen jetzt vermutlich schon, wie es ausgeht.
02. April 2023: Sarah Käsmayr vom Maro Verlag antwortet mir, sie möchte mehr über das Buch erfahren. Wir telefonieren und ich versichere Sarah mehrmals, dass der Roman entgegen ihrer größten Sorge definitiv nicht esoterisch ist. Und dann geht alles ganz schnell, denn der Roman soll passend zum Gastlandauftritt der Niederlande und Flanderns auf der Leipziger Buchmesse 2024 erscheinen.
15. März 2024: Birkenschwester von Caro van Thuyne erscheint in deutscher Übersetzung von Lisa Mensing beim Maro Verlag.
09. Juli 2024: Ich überarbeite gerade eine Übersetzung. Mein Handy klingelt. Ich gehe ran. Ich habe einen Preis gewonnen.
Tja, und jetzt stehe ich hier und bin überglücklich darüber, dass ich diesen Roman, der mich immer noch zutiefst berührt und fasziniert, übersetzen durfte und für meine Arbeit mit diesem Preis ausgezeichnet werde. Und deshalb möchte ich mich bei einigen Menschen bedanken.
Danke, Caro van Thuyne, dass du Lijn van wee en wens geschrieben hast, danke für deinen einzigartigen Stil, deine Sprachvirtuosität und deine Antworten auf meine Fragen.
Für jede Übersetzung, die ich anfertige, erhält Elbert Besaris, Übersetzer aus dem Deutschen ins Niederländische, eine Reihe sprachenspezifischer Fragen von mir. Lieber Elbert, deine Antworten sind eine große Hilfe und unglaublich wichtig für meine Arbeit, dank je wel.
Sarah (Käsmayr), ich möchte dir dafür danken, dass du zusammen mit deinem Vater Benno Käsmayr einen Verlag leitest, der sich abseits vom Mainstream bewegt. Mit Veröffentlichungen wie Birkenschwester geht ihr Risiken ein, und ich bewundere deinen Mut und dein Engagement. Ich habe die Arbeit mit dir, dein nuanciertes, wertschätzendes, genaues Lektorat, die Titelfindung und das Sprechen über Designentscheidungen sehr genossen und bin fest davon überzeugt, im Maro Verlag den perfekten Verlag für Birkenschwester gefunden zu haben. Ohne dich gäbe es Birkenschwester nicht. Und ohne Birkenschwester würden wir uns nicht kennen, was unglaublich schade wäre. Danke, Sarah, danke Maro Verlag.
Wenn Sie meinen Worten aufmerksam gelauscht haben, denken Sie vielleicht, dass ich ständig mit meiner Professorin Lut Missinne in Kneipen und Gaststätten sitze – das ist natürlich auch so! Lut, ich möchte mich bei dir für die inspirierenden Seminare bedanken, die meine Leidenschaft für die niederländischsprachige Literatur nur weiter angefacht haben, und vor allem möchte ich dir dafür danken, dass du mir dein Vertrauen geschenkt und mir eine Stelle am Institut angeboten hast und mir als Chefin meine Freiräume lässt und mich in meiner Arbeit als Übersetzerin immer unterstützt.
In den letzten Jahren haben mein Mann, meine Familie und meine Freunde unter meiner Arbeit gelitten. Ich habe keine Zeit und vernachlässige sie, weil ich übersetze. Das hier ist ein guter Moment, um mich bei ihnen für ihr Verständnis zu bedanken.
Ich möchte meinen Eltern dafür danken, dass sie mich immer unterstützt haben – auch wenn sie kurz schockiert waren, als ich ihnen mitgeteilt habe, dass ich mein Lehramtsstudium abbrechen werde – aber hey, wer wünscht sich keine sichere Zukunft für sein Kind? Danke, dass ihr mich immer in dem gefördert habt, was ich gerne gemacht habe. Ich möchte meinem Bruder Jan dafür danken, mir die Worte „Manchmal muss man seine Komfortzone verlassen“, mit auf den Weg gegeben zu haben. Du hast nie auch nur ansatzweise infrage gestellt, dass ich meinen eigenen Weg gehen werde.
Ihr drei habt mir gezeigt, was es bedeutet, das Lesen zu lieben. Ich erinnere mich an einen Urlaub an der Nordsee, ihr alle habt ein Buch in der Hand und lest – und niemand will mit mir spielen, denn Bücher sind anscheinend viel spannender als ich. Ich kann noch nicht lesen, und ich platze fast vor Neid.
Ich habe drei Tanten. Eine dieser Tanten ist Literaturübersetzerin. Schon als kleines Kind beeindruckte mich dieser Beruf, er funkelte und glitzerte, er hatte mit echten Büchern, mit Lesen und Literatur zu tun. Und natürlich hat mich diese Tante auch schon in frühen Jahren mit Literatur versorgt, zum Beispiel mit Alice im Wunderland in der Übersetzung von Sybil Gräfin Schönfeldt, das immer noch in meinem Regal steht. Ich bin glücklich, dass ich in deine Fußstapfen treten durfte, danke, Christiane (Körner), dass du mir den erfüllendsten Beruf der Welt vorgelebt hast.
Anna (Eble), dir möchte ich für deine bedingungslose Freundschaft danken, und dafür, dass ich dich oft als lebendiges Tagebuch nutzen darf, das mir dann mit Rat und Tat zur Seite steht und auch die nichtigsten Nachrichten ernst nimmt. Mit dir über die Literatur und das Leben zu sprechen, erfüllt mich seit dem Tag unseres Kennenlernens mit Glück.
Und natürlich möchte ich meinem Mann, Sebastian (Jerke), aus tiefstem Herzen danken. Du bist den ganzen Weg mit mir gegangen, vom Studium bis zu diesem Preis (ja, wir sind schon lange zusammen), du hast meine Pläne und Träume von Anfang an unterstützt, du hast mir Mut zugesprochen, mir gezeigt, wie man sich in der harten Welt der Selbstständigkeit durchschlägt, du hast mich darin bestärkt, mich nicht von meinem Pfad abbringen zu lassen. Du erlebst täglich meinen Stress, meine Sorgen, meine Erschöpfung, aber auch, wie sehr ich meine Arbeit liebe, und deshalb stellst du sie nie infrage, sondern hilfst mir, wo es nur geht. Sebastian, ich bin dir für all das und noch viel mehr unglaublich dankbar.
Dass ich heute hier stehe, hat natürlich auch mit der Jury, bestehend aus Michael Kegler, Anne-Dore Krohn, Theresia Prammer, Olga Radetzkaja und Ullrich Sonnenberg, sowie der Kunststiftung NRW und dem Europäischen Übersetzer-Kollegium zu tun – dafür möchte ich mich bei Ihnen allen ganz herzlich bedanken. Ich bin unendlich glücklich darüber, dass Sie in meiner Übersetzung anscheinend das gesehen haben, was ich im Original gesehen habe, und dass ich durch diesen Preis Wertschätzung für meine Arbeit erfahre. Diese Auszeichnung bestätigt mich darin, niemals meine Herzensprojekte aufzugeben und meine Leidenschaft für das Literaturübersetzen weiter zu leben.
Meine Rede hat jetzt vielleicht etwas mehr Zeit in Anspruch genommen als vorgegeben, aber eine weise Frau, die heute einen gewissen Hauptpreis gewonnen hat, hat mir einmal gesagt: Du hast einen Preis bekommen, du bist wichtig, du darfst Sachen einfordern. Und auf weise Menschen sollte man bekanntlich hören.
Danke, dass Sie diesen Abend mit mir verbringen und danke für Ihre Aufmerksamkeit, ich freue mich, mit Ihnen feiern zu dürfen.