Grußwort Iain Galbraith

Sehr geehrte Frau Dr. Sinnreich,
sehr geehrter Herr Sprick,
liebe Frau Dr. Peeters, liebe Frau Fretter,
liebe Katy Derbyshire, lieber Simon Pare,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir kennen das Gemälde nicht, entscheiden uns gerade deshalb davor zu verweilen. Wir bewundern die unerhörte Sorgfalt der Detailsetzung. Allmählich begreifen wir, wie jedes Detail mit jedem anderen Detail korrespondiert und dass es diese Dynamik ist, die dem großen Ganzen zu seiner Wahrhaftigkeit verhilft. Wir mögen uns eine Zeitlang im Schauen verlieren, irgendwann aber kommt der Augenblick, in dem wir uns fragen, welcher Maler es wohl erreicht hat (ja, wahrscheinlich: ein Maler, stehen wir doch im Renaissance-Saal!), uns mit einer solchen Sogwirkung in diese fremde und deshalb auch unsere Welt zu verführen ... Die Augen gleiten hinüber zum Schild: Atelier von... steht da neben dem Bild, oder Schule von ... Und wir fühlen uns ein wenig traurig, denn dieser Maler (oder vielleicht doch Malerin?), der oder die uns Nachgeborenen ein unvergessliches Kunstvergnügen geschenkt hat, wurde mit der Zeit vergessen oder damals schon als unscheinbare Person behandelt: der fünfzigjährige Lehrling, die Handmaid…

Meine Damen und Herren: Hier und jetzt ist der Ort, an dem wir solche Trübsal überwinden werden! Es ist mir daher eine große Ehre und ebenso große Freude, im Namen der Jury des Straelener Übersetzerpreises 2018 der Kunststiftung NRW unsere Hauptpreisträgerin Katy Derbyshire zu begrüßen. Denn auch wenn Clemens Meyers Name – nicht nur im Sinne des Urhebergesetztes, sondern auch als wichtiger Bezugspunkt im Mysterium einer großen übersetzerischen Verwandlung – auf dem Umschlag ihrer fürwahr ambitionierten und ästhetisch einmaligen Übersetzung steht, verantwortet Katy Derbyshire jede in Bricks and Mortar gefasste mikrostilistische Entscheidung, jeden wortspielerischen oder sonstwie übersetzerischen Gewinn, jede lexikalische Finesse, kurzum: jedes einzelne Wort und Satzzeichen.

Zurecht haben Kritiker in Zusammenhang mit diesem Großstadtroman Namen wie Alfred Döblin oder Hubert Fichte genannt, James Joyce kann man ruhig hinzufügen: Es handelt sich aber gleichzeitig um einen Roman, der - in Zusammenhang mit der Umwälzung der Prostitutionsarbeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, vor allem seit dem Prostitutionsgesetz von 2002 – die sich nicht mehr so langsam entfaltende Katastrophe neoliberaler Produktionsbedingungen im Herzen des heutigen Europas zum Ausdruck bringt. Katy Derbyshire beweist hierin ein absolut sicheres Gespür für soziales Milieu, Jargon, Argot, kulturelle Referenz, Erzählperspektive, Textur, Bewusstseinsstrom, Dialog und die Realitäten paranoider oder chemisch bedingter Halluzination. Eine solche Übersetzung bezeugt nicht nur Kenntnisse, Ausdauer und Forschungsgeist der Übersetzerin, sondern menschliche Erfahrenheit und Einfühlungsvermögen. Das Ergebnis ist eine reichhaltige, komplexe, äußerst spannende und lesbare Übersetzung. Darin waren und sind sich alle drei Mitglieder der Jury einig, und deshalb gratuliere ich Ihnen, liebe Katy Derbyshire, auch im Namen von Penny Black und Denis Scheck, zum Straelener Übersetzerpreis 2018.