Danksagung Dr. Adan Kovacsics
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Sternberg, sehr geehrte Frau Dr. Hendricks, sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Frau Fretter, liebe Mitglieder der Jury, liebe Übersetzer, liebe Gäste!
Vielen, vielen Dank dafür, dass meine Arbeit mit einem so bedeutenden und renommierten Preis wie dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet wird. Mein innigster Dank der Kunststiftung NRW, dem Europäischen Übersetzer-Kollegium und der Jury, die meine Arbeit als dieses Preises würdig erachtet haben.
Ein besonderer Dank den Mitgliedern der Jury, Olga García, Belén Santana, Paul Ingendaay, für die schönen, bewegenden, mich verlegen machenden Worte der Laudatio.
Außerdem rührt es mich, dass der Preis mit einem Kollegium, einem Ort und einer Gegend verbunden ist, an die mich so viele Erinnerungen knüpfen. Man spürt man hier die Nähe des großen Flusses und der Grenze. Flüsse übersetzt man und Übersetzer sind überhaupt Grenzgänger.
Und mein Dank gilt auch dafür, dass nicht nur der Übersetzer in meiner Person, sondern die Übersetzung selbst als wesentlicher und nicht immer anerkannter Bestandteil der Welt der Literatur und der Weltliteratur überhaupt durch diese Auszeichnung geehrt wird.
Ich habe in meiner inzwischen schon langen Laufbahn oft erwähnt und betont, dass zum Entschluss, Übersetzer zu werden, wesentlich ein existentieller Faktor gehört, der zu einem Leben zwischen den Sprachen führt, zur Gewohnheit und damit verbunden zur Lust und zum Leid, zwischen Sprachen zu pendeln.
In meinem Fall, muss ich sagen, ergab es sich von Kindheit an. In Chile geboren, als Sohn ungarischer Eltern, die Anfang der Fünfzigerjahre ins Land kamen, wuchs ich sofort mit zwei Sprachen auf, dem Ungarischen der Familie und dem Spanischen der Umwelt. Ein paar Jahre später kam eine Großmutter hinzu, die nur Ungarisch und kein Wort Spanisch sprach und für die ich als Kind dann übersetzte, beim Greißler, beim Fleischer, in der Bäckerei. Ich kam aus der Schule und erzählte zuhause auf Ungarisch, was in der Klasse auf Spanisch geschehen war. Es war nicht einfach. Das Ungarische war mir lästig, eine Sprache, von der ich mich absetzen wollte. Ich fuhr mit dem Autobus zur Schule, meine Eltern in selben Autobus zur Arbeit. Ich setzte mich aber nicht zu ihnen, wollte in der Öffentlichkeit in kein ungarisches Gespräch verwickelt werden, wollte mich ganz mit der Umgebung verschmelzen, ganz Chilene sein. Dann übersiedelte die Familie von einem Tag auf den anderen von Santiago nach Wien, ich war ein Heranwachsender. Dort kam ich ins Gymnasium und musste mir natürlich das Deutsche aneignen. Und auch dort ergab es sich von selbst, dass ich übersetzte. Der Schriftsteller György Sebestyén, der mit meinen Eltern bekannt war, trotz seines ungarischen Namens auf Deutsch schrieb, es sogar zum Präsidenten des österreichischen PEN Clubs brachte und von dem sich später herausstellte, dass er durch seine Beziehungen zur ungarischen Staatssicherheit eine mehr als dubiose Rolle gespielt hat, gab mir eines seiner Theaterstücke, damit ich es ins Spanische übertrage. Es war keine leichte Aufgabe, zumal ich ja das Handwerk nicht kannte. Ich weiss nicht, was aus dem Text geworden ist. Er muss sicher ganz schrecklich gewesen sein.
Auch als ich dann nach Spanien mit meinen Sprachen und wenig mehr im Gepäck kam, war der erste Überlebens-Einfall, zu übersetzen. Ich war aber damals noch kein Übersetzer, vor allem kein literarischer. Ich musste erst die Kunst erlernen. Ich muss es sagen. Wirklich Übersetzer bin ich erst Ende der Achtzigerjahre geworden, vielleicht erst in Straelen, hier im Übersetzer-Kollegium, wo ich von meinem Freund und Mentor und Meister Juan del Solar sozusagen eingeschleust wurde und mich dann mehrmals aufhielt. Hier übersetzte ich bei mehreren Aufenthalten Karl Kraus' Die letzten Tage der Menschheit, wozu sowohl er als auch meine Frau Cristina mich ermutigt hatten. Juan del Solar hatte mich in den Jahren davor ins Handwerk eingeführt, wir hatten gemeinsam einiges übersetzt, Texte von Lou Andreas-Salomé, Texte von Elias Canetti. Ich erinnere mich, wie die Seiten, die ich ihm damals brachte, nach seiner Durchsicht ausschauten, voller schwarzer Federstriche durchs Geschriebene, voller Anmerkungen am Rande, auf dem Papier war von dem, was ich produziert hatte, kaum etwas zu sehen. Wie ich sagte, vielleicht bin ich hier in Straelen literarischer Übersetzer geworden. Mit der Übertragung der Letzten Tage der Menschheit ins Spanische. Übersetzer ist einer, der an die Grenzen der Übersetzbarkeit stößt und nicht zurückschreckt.
In Straelen bin ich auch, durch Vermittlung von Christine Koschel, mit dem Werk von Imre Kertész bekannt geworden, eine für mich lebensentscheidende literarische und geistige Erfahrung. Sowohl Kraus als auch Kertész sind Autoren geworden, mit denen ich mich dann jahrelang, jahrzehntelang gedanklich und übersetzerisch beschäftigt und auseinandergesetzt habe.
Hier in Straelen, im Übersetzer-Kollegium, habe ich auch Péter Rácz kennengelernt, der eine so entscheidende Rolle in meinen Anfängen als Übersetzer aus dem Ungarischen gespielt hat. Ich schickte ihm in den Jahren danach seitenlange Listen mit Fragen, die er stets prompt und gewissenhaft beantwortete. Einige Zeit später gründete er in Balatonfüred, am Plattensee, das ungarische Übersetzer-Haus, das nach dem Muster des hiesigen Kollegiums funktioniert.
Mit ihm bin ich im September des Jahres 1990 nach dem Tod meines Vaters in der Gegend um die Stadt spazierengegangen, an großen trostspendenden Bäumen vorbei, ich erinnere mich an einen riesigen, schon herbstlich leuchtenden Ahorn...
Übersetzer, einer, der an die Grenzen der Übersetzbarkeit stößt und nicht zurückschreckt... Karl Kraus' Letzte Tage der Menschheit war natürlich, naturgemäß würde Thomas Bernhard sagen, die extremste, die radikalste Schule in dieser Hinsicht. Wie mit dem Dialekt umgehen, wie mit den verschiedenen Sprachebenen, wie mit den klingenden und sprechenden Namen, wie mit den Wortspielen, wie mit den Phrasen, wie mit der eingeschobenen Lyrik, der ganze Fächer der Sprache entfaltet sich in dem gewaltigen Werk.
Immer wieder trifft der Übersetzer auf gewisse Wörter und Wendungen, die ihn an die Fragilität seiner Kunst erinnern.
Meine Schwester ist von Wien nach Bogotá übersiedelt, hat aber den Kaffee den man ihr dort in Kaffeehäusern und Restaurants anbot, als waschechte Wienerin, die sie geworden war, strikt abgelehnt, als Gschloder bezeichnet und Kaffee aus Wien nach Kolumbien bringen lassen. Ja, aber wie soll man jetzt das Wort Gschloder übersetzen?
Es gibt im Inuit ein Wort, Itsuarpok, das die Ungeduld bezeichnet, mit der man auf jemand wartet und die einen immer wieder dazu zwingt, aus dem Iglu zu treten, zu schauen, ob dieser jemand sich auf der eisigen Ödnis nähert, um dann, da dies nicht der Fall ist, enttäuscht, mit hängendem Kopf, wieder in den Iglu zurückzugehen. Ja, wie soll man nun dieses Wort übersetzen?
Wie soll man das deutsche Wort “Einsicht” ins Spanische übersetzen? Wie zum Beispiel Rilkes “grimmige Einsicht” der zehnten Elegie? Wählt man das Wort “visión”, so geht die Idee des Einsehens, der Akzeptanz, des Begreifens verloren. Wählt man “comprensión”, so geht die Idee der Sicht, des Sehens verloren. Dasselbe passiert mit “intuición”. Und doch legt die Wahl einer dieser Möglichkeiten eine bedeutende Schicht des Wortes frei, die im Deutschen nicht so deutlich sichtbar ist und vielleicht nur schlummert. Die Wahl bringt dann neue Nuancen, andere Traditionen mit sich, die den Text bereichern.
Die Übersetzung trägt außerdem entscheidend zum Bau einer Sprache bei. Durch sie werden Wörter und Wendungen eingeführt. Ortega stellte fest, dass es im Spanischen keine Entsprechung für das deutsche Wort “Erlebnis” gab und schlug “vivencia” vor, ein Nomen, darin natürlich das Verbum “leben”, “vivir”, enthalten ist. Seitdem hat sich “vivencia” eingebürgert, gehört zum Standardvokabular des Spanischen. Auf solche Situationen treffen wir übrigens immer wieder in unserer total vernetzten globalisierten Welt.
Und doch ist der Übersetzer eine zwielichtige Gestalt, der man nicht ganz traut. Zwei Menschen, die einander nicht verstehen, weil sie verschiedene Sprachen sprechen, sind auf ihn angewiesen, sind auf einen Dolmetscher angewiesen. Ein Mensch möchte ein Buch lesen, in einer Sprache geschrieben, die er nicht kennt, muss also zu einer Übersetzung greifen. Und dieses Angewiesensein ist ein Ärgernis und eine Quelle des Misstrauens. Der Übersetzer ist ja jemand, der eigentlich gar nicht sein sollte, der im Idealfall gar nicht existiert. Es ist jemand, der vielleicht mit einem der Gesprächspartner liiert ist, einer, der vielleicht sogar auf der Seite des Feindes steht. Jemand, der über ein geheimes Wissen verfügt. Jemand, der Türen und Fenster einer Sprache aufmacht, diese lüftet, ihr In-sich-eingeschlossensein aufhebt, neuen Atem, neue Akzente und Nuancen einführt.
Nicht alles ist lichtvoll. Einer, der in diesem Bereich zwischen den Sprachen lebt, findet in finstern Stunden überhaupt keine Worte oder stammelt Unzusammenhängendes in seinen verschiedenen Sprachen, hat für diese Blume nur im Deutschen ein Wort, für jene nur im Spanischen eines, für die andere nur im Ungarischen oder im Französischen. Er fragt sich vieles, fragt sich, in welcher Sprache er zuhause ist.
Der Übersetzer, der mit vielen Sprachen aufgewachsen ist, trägt diese Fragen, Zweifel, Lücken mit sich, die ihn aber besonders befähigen, die Unerschöpflichkeit der Sprache zu schätzen und zu achten, ihre Magie und ihre Strenge zu kosten, wie Karl Kraus sagt, “die Norm, nach der eine Partikel das logische Ganze umschließt, und das Geheimnis, wie ... ein Vers blüht oder welkt”. Und er weiss auch, und das ist das Entscheidende, dass es über dem Wort Einsicht, über dem Wort Azalee, über dem Satz “verweile doch du bist so schön” eine ideelle, unsichtbare, unhörbare Sprache gibt, in der die der Einsicht innewohnende Idee, die der Azalee innewohnende Idee, die dem Satz “verweile doch du bist so schön” innewohnende Idee aufgehoben ist und die allen menschlichen Sprachen gemeinsam ist. Deswegen und nur deswegen kann man übersetzen. Diese ideelle Sprache ist unsichtbar und unhörbar, und doch wird sie vom Übersetzer in gewissen Augenblicken ganz deutlich gespürt und erfahren. Und diese Erfahrung hat nur er. Die Erfahrung einer allen Menschen gemeinsame Sprache. In dieser ist er vielleicht zuhause.
Und vielleicht rührt das Misstrauen, das man ihm entgegenbrigt, eben auch daher, dass er in dieser zugleich dunklen und überhellen Region wandelt, die anderen verschlossen bleibt, dass er zu einem Schatz Zugang hat, zu einer unhörbaren Melodie, Heard melodies are sweet but those unheard are sweeter, schreibt John Keats...
Nochmals vielen Dank.