Danksagung der Preisträger:innen

vorgetragen durch Halyna Petrosanyak

Sehr geehrter Herr Dr. Sternberger,

Sehr geehrter Herr Pollack,

Sehr geehrte Vertreter:innen der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen und des Europäischen Übersetzer-Kollegiums,

Sehr geehrte Jury,

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

wir bedanken uns herzlich für die Ehre, den hochkarätigen Literaturpreis der Kunststiftung NRW - Straelener Übersetzerpreis 2023 empfangen zu dürfen. 

Unser herzlicher Dank geht an die Kunststiftung NRW und das Europäische Übersetzer-Kollegium für ihre klare Verurteilung des russländischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und für die große Solidarität mit den ukrainischen Kulturschaffenden. 

Bis vor einem Jahr haben wir uns eher als Übersetzer:innen der deutschsprachigen Literatur gesehen. Mit der Großoffensive Russlands mussten wir uns in einer politischen Vermittlungsfunktion begreifen. Diese Rolle haben wir uns nicht ausgesucht, genauso wie sich die Ukraine den Krieg nicht ausgesucht hat. Nun aber müssen wir die Ukraine für die Welt übersetzen. Das heißt, die Kontexte des Krieges schildern, über die Geschichte der Ukraine, ihre Kultur und Lage aufklären und um Solidarität werben. 

Dieses politische Ausmaß ist der ukrainischen literarischen und kulturellen Tradition nicht neu. Seit Jahrhunderten wurde der Übersetzung in der Ukraine eine besondere Bedeutung beigemessen. Die Idee der nationalen Identität, die stark auf der Sprache aufbaut, mündete in der deutschen Romantik, die von den ukrainischen Kultur- und Literaturschaffenden schon im 19. Jh. aktiv rezipiert wurde. Unsere Klassiker:innen haben nicht nur originelle Texte verfasst, sondern auch viel übersetzt, u.a. auch aus dem Deutschen, um die eigene Sprache zu bereichern.

Das Ukrainische als Literatursprache musste sich nämlich im kolonialen und postkolonialen Kontext trotz der Unterdrückungen und Manipulationen durchsetzen. Bereits 1876 hat der Zar Alexander II. mit dem Emser Erlass die ukrainische Sprache im Kultur- und Bildungsbereich ausdrücklich verboten. Man durfte keine originellen Bücher auf Ukrainisch veröffentlichen oder solche aus dem Ausland einführen. Die Übersetzungen ins Ukrainische, Theateraufführungen, Konzerte und Schulunterricht wurden ebenso untersagt.

Nach kurzem Aufblühen der ukrainischen Kultur zu Beginn des 20. Jh. wurden im großen stalinistischen Terror der 30er Jahre nicht nur ukrainische Bauern durch die künstlich verursachte Hungersnot ausgelöscht, sondern auch die Kulturschaffenden litten unter Repressalien. In dieser Zeit wurden über 200 Schriftsteller:innen und Übersetzer:innen in den Tod getrieben. Sie wurden hingerichtet, in den Straf- und Arbeitslagern bis zum Tode gequält oder haben Suizid begangen.

Danach ist die sowjetisch-ukrainische Literatur überwiegend servil geworden oder wurde durch die Zensur unterdrückt. Neben der dissidentischen Underground-Literatur bekam die Übersetzung einen besonderen Wert als Raum des freieren Sprechens und des Widerstands. Für manche, die in sowjetischen Gefängnissen als Gegner des Regimes landeten, wie etwa einer der bedeutendsten ukrainischen Lyriker Vasyl Stus, war die Übersetzung das Mittel, der Gängelungen zu trotzen. Nicht alle seine Übersetzungen konnten gerettet werden. 

In den 50-70er Jahren waren in der Ukraine herausragende literarische Übersetzer:innen aktiv, zu denen Mykola Lukasch, Jewhenia Horjewa, Jewhen Popowytsch, Olha Seniuk und Hryhorij Kotschur zählten. Sie haben nicht nur am ukrainischen Kanon der Weltliteratur gearbeitet, sondern auch zur Entstehung des einmaligen Kulturmilieus beigetragen, in dem systemkritisches und kreatives Denken gefördert wurde. Hier entstand eine Art übersetzerischer Schule, wo die älteren Kolleg:innnen die jüngeren als Mentor:innen begleitet und ihnen Zugang zur Literatur aus dem Ausland verschafft haben. Zu dieser Schule gehörte unser Kollege Mark Belorusez. 

Die ukrainische Literatur in der Welt sichtbar zu machen, war keine einfache Aufgabe.
Um die Verbreitung der ukrainischen Literatur außerhalb der Sowjetunion bemühten sich die Exilukrainer:innen, die nach dem II. Weltkrieg zahlreich geworden sind und sich überwiegend für eine unabhängige Ukraine einsetzten. 

In Deutschland hat sich die Übersetzerin Anna Halia Horbatsch für ukrainische Literatur engagiert. Sie hat maßgebliche Texte ins Deutsche übersetzt und herausgegeben. Heute mag uns erstaunen, wie diese Frau in beinahe kompletter Einsamkeit auf eigene Kosten Bücher der ukrainischen Autor:innen eins nach dem anderen veröffentlichte und präsentierte. Damals blieb ihre leidenschaftliche Tätigkeit beinahe unbemerkt, es ist die Geschichte einer einsamen Kämpferin auf dem Gebiet der Kultur. 

Die diesjährige Auszeichnung von fünf ukrainischen Übersetzer:innen könnte eine Wende in der Wahrnehmung der ukrainischen Kultur und ihren Vermittler:innen bedeuten: je mehr Akteur:innen die Kulturvermittlung hat, desto kontinuierlicher kann die Vermittlungsarbeit geleistet werden. Heute freuen wir uns darüber, dass es mehrere hervorragende deutsche und österreichische Kolleg:innen gibt, die sich auf die Übersetzung aus dem Ukrainischen spezialisieren und neben der modernen Literatur auch unsere Klassiker:innen übertragen. Diesen Preis nehmen wir in Gedanken an unsere Vorgänger:innen in Empfang, die sich unter schwierigsten Bedingungen für das ukrainische Wort einsetzten. 

Heute wollen wir auch unseren Kollegen Oleksandr Kysljuk und Wolodymyr Vakulenko gedenken, die im heutigen Krieg den Russen zum Opfer gefallen sind.

Oleksandr Kysljuk hat aus dem Altgriechischen und Lateinischen übersetzt. Am 5. März 2022 ist er in seinem Zuhause in Butscha erschossen worden.

Wolodymyr Vakulenko war Kinderbuchautor, Übersetzer und alleinerziehender Vater. Ende März 2022 haben ihn die Besatzer im Bezirk Charkiw festgenommen und umgebracht, seine Leiche ist erst im Herbst in einem Massengrab entdeckt und identifiziert worden.

Unsere Gedanken sind auch mit unserem Kollegen Jevhen Hulevytsch, dem Übersetzer aus dem Englischen, der als Leutnant der ukrainischen Armee seit etwa zwei Monaten an der Front verschollen ist. Wir hoffen, dass er am Leben bleibt.

Zum Schluss bedanken wir uns bei den unzähligen Kolleg:innen - Literaturschaffenden, Filmemacher:innen, Künstler:innen, die den ukrainischen Militärs beigetreten sind oder sich als Freiwillige engagieren, um die Ukraine zu verteidigen. Unser besonderer Dank geht an die Streitkräfte, Mitarbeiter:innen des Notfalldienstes, Mediziner:innen und alle, die sich für die Aufrechterhaltung des Lebens in der Ukraine seit mehr als einem Jahr einsetzen. Ohne sie wären unsere Arbeit und unsere Anwesenheit hier nicht möglich.

* Am 28. März 2023 wurde bekannt gegeben, dass Jewhen Hulewytsch am 31. Dezember 2022 im Kampf gefallen ist.