Grußwort Prof. Dr. Thomas Sternberg

Sehr verehrte Frau Generalkonsulin, sehr verehrte Preisträgerinnen, verehrter Preisträger, verehrte Jury, meine Damen und Herren,

ich darf Sie sehr herzlich hier in Düsseldorf an ungewohntem Ort für die Verleihung des Übersetzerpreises der Kunststiftung begrüßen. Normalerweise tun wir das im Domizil unseres Kooperationspartners für diesen Preis, im Europäischen Übersetzerkollegium Straelen am Niederrhein, deren Präsidentin Frau Bundesministerin a. D. Barbara Hendricks und Leiterin Frau Dr. Peeters ich herzlich begrüße. In der FAZ wurde diese von uns seit Jahren geförderte Einrichtung rühmend als „Maschinenraum der Weltliteratur“ bezeichnet.  Nun sollte das schöne Haus in diesem Jahr renoviert werden, aber Verzögerungen haben dazu geführt, dass nun doch Straelen geöffnet ist und erst 2024 schließen wird.

Es ist uns eine Ehre und eine Freude, dass Sie, Frau Generalkonsulin Shum, heute hier sind und zu uns gleich sprechen werden. Herzlich begrüße ich auch die Jurymitglieder, die die heutigen Preisträger ausgewählt haben. Eine von ihnen, Frau Sniadanko, wird die Begründungen vortragen – schon jetzt herzlichen Dank dafür. Und nicht zuletzt herzlich willkommen Herr Pollack, auf Ihre Laudatio freue ich mich schon jetzt.

Eine weitere Besonderheit führt uns heute hier zusammen: den Übersetzerpreis haben wir in diesem Jahr auf 50.000 € erhöht, um in besonderer Weise mehrere Übersetzer jenes Landes auszuzeichnen, das aus traurigem Anlass heute im Fokus der Aufmerksamkeit und der Unterstützung steht: die vor etwas mehr als einem Jahr überfallene Ukraine und der seither dauernde brutale Krieg vor unserer Tür – oder besser in unserem Haus. Der diesjährige Preis ist auch ein Zeichen der Solidarität.

Die Ukraine hat viele Ethnien zu einem gemeinsamen Staat vereinigt, den seine so unterschiedlichen Staatsbürger mit so großer Kraft und Energie nun schon seit über einem Jahr gegen den Überfall verteidigen. Ein Überfall, der sich auf eine Vorstellung von Nation bezieht, wie sie sich im 19. Jahrhundert wie ein giftiges Bakterium verbreitet hat: das In-eins-Setzen von Sprache, Ethnie, Kultur, Geschichte und Staat. Mit der gleichen Ideologie des „Heim ins Reich“, mit denen Adolf Hitler 1938 Österreich und 1939 Tschechien annektierte, spricht Wladimir Putin der Ukraine das Existenzrecht ab. 

Die Ukraine, meine Damen und Herren, ist ein Land mit einer Vielvölker- und Vielsprachengeschichte; wie reich an ganz unterschiedlichen Einflüssen und Traditionen ist dieses Land immer gewesen. Nicht die geringste darunter ist die jüdische, die nicht allein mit dem Jiddischen und den Erzählungen aus dem Stetl, sondern und auch mit großer deutschsprachiger Literaturtradition verbindet. Da reicht es schon, den Ortsnamen Czernowitz mit den Großen Paul Celan und Rose Ausländer zu nennen.

Die Ukraine ist ein Land in Europa, das Osten und Westen und auch Norden und Süden vereint: das Land durchzieht die Europäische Hauptwasserscheide; die südlichen Flüsse verbinden zum Süden und münden ins Schwarze Meer, die nördlichen in die Ostsee. Und das war immer auch ein Kennzeichen der Staaten Europas, die Vielfalt auf einer verbindenden kulturellen Grundlage. Was ist daraus geworden?

 

Die Wochenzeitung Die Zeit druckte 2022 ukrainische Gedichte im Jahr eins des Krieges ab. In einem Gedicht von Dmytro Lazutkin heißt es über eine zerbombte Schule:

„Im Kartenzimmer  

hängen die Überreste 

einer zerrissenen Welt

Lehrbücher liegen ratlos  

über den Boden verstreut

antike Klassiker die Rücken versengt

neue Geschichte das Innerste in Fetzen“.  

Markiert dieser europäische Krieg die Trümmer unserer klassischen Bildung, unsrer europäischen Ideale?

Ich weiß nicht, wer dieses Gedicht ins Deutsche übersetzt hat. Auch dieser Text dient dazu, über die Grenzen und Sprachen hin die Trauer, die Anklage und die Fragen wachzuhalten.  Gegen das Vergessen über die Grenzen hin anzuschreiben, das ist nicht die geringste Leistung der Literatur – und wir können durch Übersetzung daran teilhaben. In einem großen Gedicht von Serhij Zhadan, dem populärsten ukrainischen Schriftsteller, heißt es übersetzt: „Es lässt sich höchstens darüber schreiben / es lässt sich Literatur daraus machen.“

Schon jetzt danke ich auch Ihnen Herr Pollack für die Laudatio. Ich danke der Generalsekretärin Frau Dr. Firmenich, die sich seit dem Kriegsbeginn mit großem Einsatz für die Ukraine und ihre Menschen engagiert. Und schließlich danke ich allen, die diese Feier wieder in Straelen und Düsseldorf vorbereitet haben. Besonders darf ich hier einmal die Bereichsleiterin für die Literatur in unserer Stiftung nennen, Frau Dagmar Fretter, die diese Verleihung nun schon seit langem gemeinsam mit dem EÜK in Straelen kooperativ erarbeitet. Dies heute ist ihre bereits 14. Verleihung. Und leider auch letzte Preisverleihung vor ihrem Ruhestand. Auch Ihr deshalb heute ein besonderer Dank für die langjährige Förderung von Übersetzungen, für die Arbeit im „Maschinenraum“, wo aus Literatur Weltliteratur gemacht wird. Wir gewinnen die Möglichkeit, das Unbekannte kennen zu lernen, zu verstehen.

In dem zitierten Gedicht von Serhij Zhadan heißt es gegen Ende:

„Wir haben nur die Pflicht -

das Wichtigste zu teilen:

unsere Stimme,

unsere Empfindsamkeit.“

Vielen Dank.

Prof. Dr. Sternberg, Düsseldorf im März 2023